Ernährung als „Präzisionsmedizin“ bei der Krebsbehandlung
Wir wissen, dass eine gesunde und vollwertige Ernährung dazu beitragen kann, das Risiko bestimmter Krebsarten zu senken. Ernährungsweisen mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln – wie Obst, Gemüse, Vollkorn und Bohnen – können vor bestimmten Krebsarten schützen. Beispielsweise kann ein hoher Ballaststoffkonsum vor Darmkrebs schützen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass Ballaststoffe dabei helfen, Nahrung schneller durch den Darm zu transportieren[1].
Während der Zusammenhang zwischen Ernährungsweise, Krebsrisiko und Vorsorge bei einigen Krebsarten hinreichend bekannt ist, liegt bei den Auswirkungen der Ernährung auf eine Krebserkrankung noch vieles im Dunkeln.
Um mehr darüber herauszufinden, haben Forscher des University of Texas MD Anderson Cancer Center in Houston und des King’s College in London gemeinsam Studien untersucht, die sich mit den Auswirkungen der Ernährung auf einige der molekularen Targets befassen, von denen Krebsforscher glauben, dass sie bei der Tumorbildung eine Rolle spielen. Dabei berücksichtigten sie drei Aspekte der Ernährung: 1. den Zusammenhang zwischen Ballaststoffzufuhr und den Genen in unseren Darmbakterien, 2. die sogenannte ketogene Ernährungsweise und 3. Fasten und eine kalorienarme Ernährung.
Ballaststoffe und das Darmmikrobiom
Unter dem Darmmikrobiom versteht man die genetische Beschaffenheit aller Mikroorganismen im Darm. Es besteht ein wachsendes Interesse daran, ob unsere Nahrung bzw. bestimmte Nahrungsergänzungsmittel das Darmmikrobiom in einer Weise verändern können, die einen Einfluss auf Krebs-Biomarker haben könnte – Substanzen, die das Vorhandensein von Krebs im Körper anzeigen. Laut einer Studie kann eine Ernährung, die vorwiegend aus ballaststoffreichen, pflanzenbasierten Lebensmitteln besteht, das Mikrobiom so beeinflussen, dass die Produktion kurzkettiger Fettsäuren (SCFA) – Verbindungen, die mit einer schützenden Rolle bei Darmkrebs in Verbindung gebracht wurden – vorteilhaft erhöht wird. In ähnlicher Weise wirkt sich eine Ernährung, die zu einem großen Teil aus tierischen Nahrungsmitteln besteht, wie rotes oder verarbeitetes Fleisch, auf die Produktion potenziell schädlicher Verbindungen und Magensäuren aus. Die Forscher halten diese Untersuchungen für „vielversprechend“, fordern aber weitere Studien, um noch offene Fragen über den Zusammenhang zwischen Ballaststoffen, dem Darmmikrobiom und Krebs zu beantworten.
Die ketogene Ernährung
Die meisten Zellen in unserem Körper bevorzugen als Hauptenergiequelle Blutzucker, der aus Kohlenhydraten hergestellt wird. Wenn kein zirkulierender Blutzucker aus der Nahrung zur Verfügung steht, beginnen wir damit, gespeichertes Fett in Moleküle, namens Ketonkörper, aufzuspalten. Bei einer ketogenen Diät gibt der Körper Ketone in die Blutbahn ab.
Es liegen stichhaltige Beweise vor, dass eine ketogene Ernährung Krampfanfälle bei Kindern reduzieren kann, teilweise genauso wirksam wie Medikamente. Aufgrund dieser Auswirkungen auf das Gehirn kamen Fragen zum möglichen Nutzen einer ketogenen Ernährung bei Hirntumoren auf. Allerdings gibt es bislang keine Untersuchungen am Menschen, welche die Empfehlung einer ketogenen Ernährung zur Behandlung dieser Erkrankungen stützen.
Es gibt Hypothesen, die im Hinblick auf die ketogene Ernährung bei einem Hirntumor namens Glioblastom (Glioblastoma multiforme) untersucht werden. Die Forscher sind jedoch bezüglich der Rolle der ketogenen Ernährung bei der Tumorentstehung äußerst vorsichtig und betonen, dass sich die Forschung noch in einem sehr frühen Stadium befindet. „Es bleibt unklar, ob Therapien mit Ernährungsweisen und/oder Medikamenten ausreichend spezifisch und wirksam sind, um Tumore gezielt zu beeinflussen, und welche ungewollten Auswirkungen diese auf die Immunfunktion oder normale Zellen haben könnten,“ erläutern sie.
Fasten und kalorienarme Ernährung
Zusätzlich zu speziellen Ernährungsweisen gibt es zunehmend Belege dafür, dass der Zeitpunkt und die Menge der Nährstoffzufuhr bei Krebs eine große Rolle spielen. Bei Tierversuchen wurde gezeigt, dass Fasten – keine Nahrungsaufnahme über einen gewissen Zeitraum – oder die Nachahmung der Auswirkungen des Fastens die Toxizität einer Chemotherapiebehandlung begrenzen sowie die krebsbekämpfende Wirkung der weißen Blutkörperchen (T-Zellen) verbessern und unseren Stoffwechsel so beeinflussen kann, dass sich dies auf die Tumorbildung auswirkt.
Erneut betonen die Wissenschaftler, dass in diesem Feld noch weitere Untersuchungen notwendig sind. „Die weitere Erforschung der Anwendung des [Fastens] bei Krebs könnte den Weg für die Patienten zu mehreren diätetischen Interventionsoptionen ebnen und damit … günstige klinische Ergebnisse fördern“, so ihre Ausführungen.
Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass es weitaus mehr über die Rolle der Ernährung bei der Krebs- und Tumorentstehung zu erfahren gibt, denn „trotz [der] seit langem anerkannten Beiträge von Ernährung und Nährstoffen zum Krebsrisiko wurde die Ernährung in der Vergangenheit vernachlässigt“, wenn es darum geht, Menschen mit Krebs zu behandeln. Sie fordern eine „zielgerichtete Forschung“, um herauszufinden, ob diese Ernährungsumstellungen in die Präzisionsonkologie eingebunden werden könnten.
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Referenz: Holly AE, et al. Patient Nutrition: An Overlooked Yet Emerging Variable in the Precision Oncology Equation (Patientenernährung: Eine bislang unbeachtete, aufstrebende Variable in der Gleichung der Präzisionsonkologie). Journal of Immunotherapy and Precision Oncology (2020) 3 (3): 108-112. doi.org/10.36401/JIPO-20-7
[1] World Cancer Research Fund www.wcrf-uk.org/uk/preventing-cancer/what-can-increase-your-risk-cancer/poor-diet-and-cancer-risk (Stand: 31.08.20)